PHILIPP WEISS
Preis der "Journées de Lyon des Auteurs de Théâtre" in der Kategorie "Fremdsprachiges Stück" 2015
Ernst Herbeck (1920-1991) und August Walla (1936-2001) verbringen als schizophrene Patienten große Teile ihres Lebens in der Nervenheilanstalt Gugging nahe bei Wien. Beide werden in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu dem, was man renommierte Künstler nennt: Herbeck als Dichter, Liebling der österreichischen Nachkriegsavantgarde; Walla als einer der bedeutendsten Repräsentanten der internationalen Art Brut.
Wenn Herbeck und Walla auch einige medizinische Diagnosen und biographische Stationen teilen, so sind sie doch grundverschieden. Walla, der als Kind den Tod seiner Großmutter miterlebt und diesen als einen Zusammenbruch des Universums deutet, lässt sein Ich in der Ausweglosigkeit über die Ufer treten. Er beginnt einen Kosmos jenseits der Welt und des Himmels zu imaginieren und zu schaffen – das Weltallendeland –, ein umfassendes, mit Göttern, Symbolen, Emblemen und Sprachen bevölkertes, phantastisches Reich, dessen Teil und Gott er selbst ist. Herbeck hingegen lebt in sich versunken. Seine Disposition ist eine völlig andere. Er wird mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte geboren, die auch nach vielen Operationen seine Sprechfähigkeit stark beeinträchtigt. Bei ihm ist es nicht das Trauma, sondern das Stigma, eine von Anbeginn bestehende körperlich-sprachliche Versehrtheit, die ihn prägt.
Das Stück erzählt die Geschichte dieser beiden Menschen. Doch welche Art von Geschichte? Eine der Geisteskranken? Eine der gesellschaftlichen Opfer? Eine der Heroen, die gegen die gewalttätige symbolische Ordnung aufbegehren? Eine zweier genialischer Künstler? Alles das, als ein Theater der Stimmen, das um ein Schweigen kreist.
Ihre Leben nämlich können allein über die Ränder bestimmt werden, die durch jene Reden und Diskurse entstehen, die sie umgeben, bestimmen, vereinnahmen, deuten, umdeuten, erschaffen und wieder verwerfen. Dem entgegen steht die Präsenz ihrer Körper. Und allem voran: ihr künstlerisches Werk.
© Copyright Philipp Weiss 2017